Wegmarken für den Mitigations-Marathon

“Greasing the wheels of change“ nannte Anthony Patt seinen Beitrag [1] über die Minderung des Klimawandels im April. Anlass war der dritte Teil des fünften IPCC–Klimaberichts, dessen Studium sich sehr lohnt: Der Report liefert einen ausführlichen Leitfaden, wie man das ?Rad des Wandels schmieren? kann, um die Wirtschaft rascher von Kohlenstoff zu entkoppeln.

Enlarged view: Fossile Energie
Mitigation will den Klimawandel mindern, indem das Wirtschaftswachstums von der Abh?ngigkeit fossiler Brennstoffe befreit wird. (Bild: iStock)

Seit die IPCC-Arbeitsgruppe III ihren Teilbericht über die Minderung (Mitigation) des Klimawandels im April 2014 publizierte, drehte sich die ?ffentliche Diskussion vor allem um die gesch?tzten Kosten. Der US-amerikanische Volkswirtschaftler Paul Krugman schrieb dazu in der New York Times: "Saving the planet would be remarkably cheap" [2]. In den vom IPCC analysierten Arbeiten variieren die Kosten für die Realisierung des Zwei-Grad-Ziels um den Faktor vier – je nach angenommenem Stand von Technologien und politischen Randbedingungen. Aber selbst die oberen Werte liegen bei lediglich vier Prozent des globalen Konsums im Jahr 2030. Darin sind die reduzierten Kosten für Klimasch?den oder ?Nebeneffekte? wie geringere Krankheitskosten oder die Elektrifizierung l?ndlicher Gebiete nicht einmal eingerechnet.

ETH-Klimarunde 2014

Am 5. November 2014 findet die zweite ETH-Klimarunde statt. Sie dreht sich um das Thema ?Innovationen fürs Klima? und fragt: Was braucht es, damit wir handeln k?nnen? Anlass ist die Publikation des Synthese-Reports des 5. IPCC-Klimaberichts Ende Oktober.

Der Veranstaltung ist kostenlos, die Teilnehmerzahl ist jedoch beschr?nkt. Melden Sie sich an bis sp?testens am 31. Oktober 2014 unter: www.c2sm.ethz.ch/klimarunde2014

Doch so wichtig die Kosten auch sind, der dritte Teilbericht des fünften IPCC-Klimaberichts geht weit darüber hinaus und verdient ein vertieftes Studium. Aufbauend auf einer pr?zisen Herkunftsanalyse der Emissionen zeigen die Autoren in 16 umfassenden Kapiteln spezifische Wege auf, wie Emissionen in allen relevanten Sektoren vermindert werden k?nnen: in der Energie-, Land- und Forstwirtschaft; bei Konsum, Industrie und Infrastruktur; in Geb?uden sowie im Transportsektor – und das für die Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsl?nder in verschiedenen Kontinenten, hinterlegt mit umfassendem Datenmaterial und weiterführender Literatur.

Energiesektor als Vorreiter

Enlarged view: Fossile Energieproduktion
Noch dominiert die fossile Energieproduktion, doch der Energiesektors wandelt sich. (Bild: paukaru76 / flickr)

Der Umbau des Energiesektors (Kapitel 7) ist in einigen L?ndern bereits in vollem Gang: ?ber 30 Prozent des Stroms in D?nemark wurden 2013 mit Wind erzeugt, über 20 Prozent sind es in Spanien. Deutschland deckte im ersten Halbjahr 2014 über 30 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbaren, w?hrend alle anderen Energiequellen rückl?ufig waren [3]. Und in China übertraf die neu installierte Kapazit?t 2013 zum ersten Mal diejenige von Kohle oder Kernenergie.

Die Transformation eines Energiesektors verl?uft nach dem Drehbuch der ?sch?pferischen Zerst?rung? und erfordert einen tiefgreifenden Strukturwandel, bei dem es massive Beharrungstendenzen zu überwinden gilt. Ein solcher Prozess verl?uft nicht geradlinig, und es braucht den Mut zum Scheitern, denn Erfolg basiert oft auf Lehren aus vergangenen Fehlern. Bisher funktionierende Gesch?ftsmodelle kollabieren, branchenfremde Pioniere entwickeln neue Produkte und Dienstleistungen, Verbraucher mutieren mitunter gar zu Produzenten. Dazu zwei aktuelle Beispiele:

  • Unter dem Titel ?The rise of the personal power plant? beschreibt das Magazin IEEE Spectrum ein Pionierprojekt in Fort Collins, USA, bei dem ein ganzer Stadtteil künftig gleich viel Energie übers Jahr produzieren soll, wie er verbraucht [4].
  • Der Economist berichtet unter ?Profitable interruptions? über rasch expandierende ?demand-response?-Firmen [5], welche die fluktuierende Natur von Sonnen- und Windenergie als Gesch?ftsgrundlage nutzen und überschüssige Elektrizit?t auf- und verkaufen.

Grosses Potenzial im St?dtebau…

?hnlich dramatische Umw?lzungen müssen in den anderen Sektoren noch in Gang kommen. Metropolitane Regionen in Industriel?ndern etwa: Sie k?nnen durch Verdichtung, Road Pricing und verbesserte Service-Angebote wie Abfallmanagement, mehrfache W?rmenutzung, Recycling oder Lieferservices die Emissionen deutlich senken. Solche Massnahmen zu entwickeln ist für grosse St?dte vor allem auch angesichts der massiven Urbanisierungsvorhaben in Schwellenl?ndern wichtig. Würden diese St?dte weiterhin nach traditionellem Muster gebaut, würden allein für die Produktion des dafür ben?tigten Materials wie Zement und Stahl rund 500 Gigatonnen (Gt) CO2 emittiert – also die H?lfte des für das Zwei-Grad-Ziel erlaubten globalen Gesamtbudgets. Hinzu k?men hohe zukünftige Emissionen durch einen grossen Bedarf an Autoverkehr, Energie und Unterhalt. Letzterer w?re aufgrund der langen Lebensdauer dieser Infrastruktur kaum rasch reduzierbar (Kapitel 12).

… und beim Transport

Platzhalter
(Bild: Doha Sam / flickr)

Der Transportsektor tr?gt zur Zeit rund 23 Prozent zu den Gesamtemissionen bei. In den Schwellenl?ndern ist der Pro-Kopf-Anteil im Vergleich zu uns zwar noch gering, w?chst aber so schnell, dass bis 2050 der Transportsektor über 10 Gt oder ein Drittel der heutigen globalen Gesamtemissionen erreichen k?nnte. Drastische Ver?nderungen sind in diesem Bereich also n?tig, aber auch das Potenzial ist hier besonders hoch: Wir k?nnen Reisen vermeiden, lokale Produkte verwenden, im Internet einkaufen, Logistiksysteme optimieren, in den ?ffentlichen Verkehr investieren, die Fussg?nger- und Velo-Infrastruktur ausbauen und verbrauchsarme Fahrzeuge f?rdern (Kapitel 8).

Forschung, Ausbildung und Unternehmertum

Mehrfach weist der Bericht auf Verhaltens?nderungen vor allem bezüglich unseren Konsumgewohnheiten hin. Un?konomisches Verhalten und nicht rational gef?llte Entscheide besser zu verstehen gilt als Voraussetzung, um emissions?rmere Alternativen zu entwickeln. Viele weitere noch zu füllende Wissenslücken weisen den Weg für Forschung. Eine grosse Sorge ist der Engpass bei der Ausbildung der grossen Zahl von Spezialisten, die für das Engineering, die Installation, den Betrieb und die lokale Anpassung von Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien n?tig sind.

Vor allem aber sind die bevorstehenden Umw?lzungen eine einmalige Gelegenheit für unternehmerische Initiativen. Die Vielzahl der beteiligten Sektoren, der weltweite Handlungsbedarf und die zeitliche Dringlichkeit sprengen alle Vergleiche auch mit den gr?ssten Umw?lzungen der Industriegeschichte. Auf der ganzen Welt beginnt man, diese Chancen zunehmend wahrzunehmen. Ein sch?nes Beispiel ist Climate-KIC (Knowledge and Innovation Communities), eine Europa-weite Partnerschaft von Forschungszentren und Firmen für Neuerungen im Bereich Klimawandel [6], bei der auch die ETH Zürich mitwirkt. Schon nach drei Jahren weisen diese Wissens- und Innovationsgemeinschaften eine eindrückliche Liste von Firmengründungen aus.

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen

[1] Blogbeitrag von Anthony Patt

[2] The New York Times: external pageArtikel

[3] Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems: external pageElectricity production from solar and wind in Germany in 2014

[4] IEEE Spectrum: external pageThe rise of the personal power plant

[5] Economist: external pageProfitable interruptions

[6] external pageClimate-KIC

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